Seit www.netzpolitik.org am 31. Oktober über eine Spionagesoftware der Verlage berichtete, die ab dem 2. Halbjahr diesen Schuljahres jährlich ein Prozent aller Rechner in Schulen auf „Plagiate“, also digital kopierte Inhalte aus Schulbüchern, durchsuchen soll, steht das Internet nicht mehr still. Twitter und die einschlägig bekannten Lehrer- und Bildungsblogs überschlagen sich, nur mir fehlte bisher die Zeit für eine Stellungnahme.
Eine sehr lange „Empörung“ hat Kollege Larbig auf seinem Blog verfasst – zu dieser Empörung habe ich meinen Kommentar verfasst, der so lang geworden ist, dass er gut auch meinen eigenen Blogeintrag zur aktuellen Diskussion darstellen kann. Deshalb zitiere ich mich an dieser Stelle einfach selbst, nicht ohne darauf zu verweisen, dass Andreas Kalt in seinem Blog eine interessante Zusammenfassung der bisherigen Reaktionen erstellt hat, die sich gut eignet, das Thema ein wenig zu vertiefen.
[quote]Die Beobachtung, dass an Schulen extrem viel kopiert wird, ist sicherlich richtig. Richtig ist vom Prinzip her auch, dass die Verlage und Autoren natürlich für ihre Leistung bezahlt werden wollen. Was bei der ganzen Diskussion jedoch bisher nicht thematisiert wurde ist die Frage, WARUM denn in Schulen so viel kopiert wird. Lehrer kopieren ja nicht aus Bösartigkeit oder weil sie Verlagen schaden wollen. Lehrer kopieren Materialien, weil sie guten, ansprechenden, interessanten, vielfältigen Unterricht machen wollen. So wird es übrigens auch allenthalben von uns von Seiten der entsprechenden Ministerien gefordert.Meine Schule hat Klassensätze von zwei verschiedenen Musikbüchern angeschafft. Hier zu Hause besitze ich aber sechs verschiedene Musikbücher. Hin und wieder stelle ich fest, dass ich Materialien aus dem einen Musikbuch gut im Unterricht einsetzen könnte – darf ich aber gar nicht, zumindest nicht, wenn ich etwas einscannen und in ein Arbeitsblatt einbauen möchte.
Einige Kollegen werden nun aufatmen und sagen: “Siehst Du, gut, dass ich immer kopiert, geschnippelt und geklebt habe – diesen ganzen Computerkram fand ich ja schon immer beängstigend.”
Nur: Nimmt man es ganz genau, darf man gar nichts mehr kopieren, denn die meisten der heute vorhandenen Kopierer haben zumindest einen digitalen Zwischenspeicher, so dass jedwede Kopie, die damit angefertigt wird, nur scheinbar analog (und damit, unter bestimmten Bedingungen, legal) ist.
Die Situation ist also diese: Die Verlage möchten Bücher und Hefte verkaufen, die Lehrer möchten (und müssen) aus einem großen Materialpool schöpfen, es ist aber nicht genug Geld da, dass die Schule alle sechs Musikbuchreihen in Klassenstärke anschafft. Die Verlage wissen darum und wollen nun die Kollegen kontrollieren, digitales Kopieren einschränken und natürlich, letztlich, mehr Geld verdienen, weil sie sich erhoffen, dass nun mehr Bücher gekauft werden.
Welche Lösungsansätze gibt es? Ich glaube nicht an Lisa Rosas Credo von den digital verfügbaren Materialien, da ich ein zu großer Fan der Didaktisierung und der didaktischen Reduktion bin als dass ich mir vorstellen kann, Schüler “einfach so” aufs Internet loszulassen. Jeder, der mal versucht hat, die wirklich wichtigen Informationen aus dem Wikipediaartikel über Johann Sebastian Bach für ein Referat heraus zu destillieren, wird verstehen, warum ich das keinem Achtklässler zumuten kann und warum es unter Umständen gut sein kann, Informationen vorher reduziert und didaktisiert auf einer Doppelseite aufbereitet zu haben.
Also bleibt mir als Lehrer eigentlich nur, sämtliche Materialien komplett selbst zu erstellen, ohne dabei auf Vorlagen aus Verlagswerken zu setzen. Das würde für die Verlage bedeuten, dass die Lehrer gar keine Bücher mehr für den Hausgebrauch anschaffen – schließlich dürfen sie eh nicht verwendet werden. Den Verlagen entstünde ein realer wirtschaftlicher Schaden, da Einnahmen wegfielen, die momentan sicherlich nicht zu verachten sind, da LehrerInnen Bücher und Hefte momentan für den Einsatz zu Hause (und die Verarbeitung in Arbeitsblättern) kaufen. Als Lehrer werde ich das aber nicht leisten können, da schlicht und ergreifend die Zeit fehlt, Musikstücke selbst zu setzen, Notenbeispiele zu kolorieren, Infotexte zu verfassen, etc.
Bleibt eigentlich nur noch eine Möglichkeit: Ich verzichte als Lehrer darauf, mir Zusatzmaterial zu kaufen und auch darauf, Arbeitsblätter mit Zusatzmaterial für meine Schüler zusammen zu stellen. Stattdessen nutze ich als Material nur noch das EINE Musikbuch, das in der Schule vorhanden ist. Konsequenz daraus: Den Schulbuchverlagen gehen Einnahmen verloren, weil ich eben keine über die in der Schule vorhandenen Bücher anschaffe; der Unterricht wird an Qualität verlieren, da weniger abwechslungsreiches Material eingesetzt werden wird.
All diese Ansätze haben ein Problem: Sie gehen auf Kosten der Schüler. Wie gesagt, Verlage und Autoren haben ein gutes Recht, für ihre Arbeit auch Geld zu verlangen. Ich veröffentliche selber häufig genug in der Fachpresse um sagen zu können, dass ich mich auch über die Tantiemen freue, die ich mit einem Artikel einnehme.
Aber ich denke, es müssen NEUE Lizenzmodelle her. Die Existenz des Computers ist nicht zu leugnen und auch das Vorhandensein von Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Rechner arbeiten, ist ein Faktum.
Vielleicht ist ein Lizenzmodell wie bei iTunes denkbar: Dort hat die Musikindustrie verstanden, dass man Musik auch ohne DRM verkaufen kann. Ich kaufe 98% aller Musik und aller Hörbeispiele bei iTunes. Weil es so wunderbar bequem ist – selbst wenn ich wollte, ich hätte gar keine Muße mehr, irgendwelche Filesharingprogramme zu durchsuchen. iTunes öffnen, Titel suchen, ein Musikstück finden, einmal 99 Cent bezahlen dafür eine Audiodatei mit perfekte Metadaten – das ist ganz fein.
Wäre Ähnliches nicht auch für Verlage denkbar? Vernünftige Arbeitsblätter im Word-Format, zum Downloadpreis von 99 Cent? Vielleicht ein “eduTunes”, hinter dem ALLE Schulbuchverlage stehen? Cornelsen geht mit seinem Downloadportal für Lehrer (Beispiellink) hier bereits in die richtige Richtung. Wenn sich die Verlage zusammentun können, um einen “Schultrojaner” (ich bin mir über die fachliche Unschärfe bei der Nutzung des Wortes “Trojaner” bewusst) zu beschließen und entwickeln zu lassen, dann doch sicher auch um “eduTunes” zu entwickeln.
Ich bin mir sicher, die Anzahl derer, die sagen “bevor ich da jetzt lange Kollege XY frage, ob ich von ihm was kopieren darf, zahle ich lieber fix die 99 Cent” wäre extrem hoch.
Ich bin gespannt, was die Zukunft bringen wird – sollten die Verlage nicht von der Kontrollwut abrücken, freue ich mich zumindest darauf, in Zukunft auf die Anschaffung von Zusatzmaterialien verzichten zu können – das gibt dann auch eine ganze Menge Regalmeter frei ;-)[/quote] [box type=“shadow“]Das für diesen Artikel verwendete Foto stammt von Alaskan Dude und unterliegt einer Creative Commons Lizenz[/box]
Ja, dann man vielen Dank – erspart mir Arbeit, weil ich heute auch was zu schreiben wollte. Das wäre genau dorthin gelaufen, wie Du es anpeilst:
In ein neues Format/Lizenzmodell/DownloadPortal oder wie auch immer. Die Schotts sind ja mit „Musik und Bildung“ einen sehr kleinen (aber immerhin einen) Schritt in dieses Richtung gegangen.
Das ist auch für mich die Zeitschrift der Zukunft: Ich kann sie gedruckt oder digital abonnieren; ich kann aber auch einzelne Artikel kaufen. Ich bin davon überzeugt, dass dies ein sinnvoller Weg ist.
Aber bis dort hin ist’s noch weit … Ich musste mir vor einem halben Jahr in einem sehr etablierten Verlag sagen lassen: „iPad und eBookReader, das haben wir evaluiert, nutzen keine 5% der Lehrer …“ Kann auch wirklich so sein; immerhin haben mich heute zwei Kollegen auf den vermeintlichen Trojaner angesprochen („Was ist das?“) und dann sogar in der Erklärung noch mal nachgefragt („Was ist ein Intranet?“) ….
Ja, so eine Art iTunes für Unterrichtsmaterialien wäre eine feine Sache – und eine Martklücke. Wir haben ja gesehen, wie schwer die Kröte iTunes der Musikindustrie im Halse steckte. Und mittlerweile kaufen auch die, die vorher maximal 39 Cent für einen Song zahlen wollten, brav und legal bei iTunes.
Das völlig freie Herumwurschteln im Internet halte ich auch für keine gute Idee – mal abgesehen davon, dass das ganz einfach faktisch, bei zwei Computerräumen für 1300 SuS, nicht zur Debatte steht (und offensichtlich auch niemand der Befürworter dieses Ansatzes ein didaktisches Konzept dafür vorlegen kann oder will!?).
Ja, es gibt Ansätze, das ist schön. Man kann nur hoffen, dass auch beim „Schultrojaner“ gilt, das nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Möglicherweise ist die Aufregung, die gerade durchs Netz schwappt, genau der richtige Auslöser für Veränderung und Umdenken?
Mein ganz konkretes Problem:
Nächste Woche beginnt bei uns ein neuer Referendarsjahrgang seine Ausbildung. Bedingt durch die Verkürzung auf VD18 werden diese KollegInnen sehr schnell bereits eigenen Unterricht gestalten müssen – dafür brauchen sie sicherlich Materialien. Bisher habe ich den Anwärtern immer geraten, sich so schnell wie möglich bei den Verlagen zu registrieren um dann, mit 50% Anwärterrabatt, so viele Materialien wie möglich zusammen zu sammeln – man weiß nie, wann man mal ein AB zu höfischen Tänzen gebrauchen kann. Eigentlich macht dieser Ratschlag nun keinen Sinn mehr.
@hokey
Ich bin voll und ganz Deiner Meinung, auch und gerade was die Sache mit „das Internet alleine wird das Buch ersetzen“ angeht. Wobei aber auch klar ist, dass der „Schultrojaner“ logischerweise Wasser auf die Mühlen der Verfechter der EduShift-Ansätze ist. ;-)
Es gibt ja Ansätze wie http://www.verlag20.de oder http://www.4teachers.de oder, oder, oder. Das Problem ist einfach, dass es kein einheitliches Modell gibt. EIN Anlaufpunkt, hinter dem ALLE Verlage stehen, meinetwegen mit Extraabteilung „von Lehrern für Lehrer“ für selbsterstellte Materialien (die dann, weil nicht redaktionell aufgearbeitet, eben nur 60 Cent kosten). Das wäre was.
Das Internet wird schon teilweise das Buch ersetzen (und bei modularen Werken wie Schulbüchern ist das sogar relativ leicht) – aber eben nicht die Notwendigkeit einer Buchkultur, die zitierfähige Monografien, greifbare Referenzen und – böse, böse – einen gesellschaftlich definierten Kanon benötigt. Das ‚reine‘ Internet ist für verlässliche Diskurse einfach zu flüchtig.
Wenn der „Schultrojaner“ nun für Bewegung zwischen Verlagen und Lehrern sorgt, soll uns das nur recht sein. (Analog dazu: Die totgesagte Film- und Musikindustrie lebt übrigens auch immer noch, was ich ja vor wenigen Jahren nicht geglaubt hätte… tragfähige Alternativen für unabhängige Künstler sehe ich weit und breit keine.)
Ein Anlaufpunkt für alle wäre natürlich praktisch, würde aber auch ein Monopol bedeuten.
Die Gedanken zur Gefahr einer Monopolisierung sind mir auch schon durch den Kopf gegangen – vielleicht ist die aber gar nicht so groß: Wenn wir mal bei der Musikmetapher bleiben, dann gibt es ja die großen Contentanbieter (EMI, Universal, etc.) und die bieten ihr Portfolio auf verschiedenen Plattformen (iTunes, Musicload, Napster, Simfy, etc.) an. Es gibt unterschiedliche Abrechnungsmodelle und der eine mag lieber zu iTunes gehen, der andere zu Musicload.
Auch scheint es z.B. bei iTunes die Möglichkeit zu geben, dass kleine Musiker/Gruppen ihre Musik darüber vertreiben können. Ich weiß nicht zu 100%, wie das funktioniert, aber ein Studienkollege von mir nimmt in seinem Studio mit einem Profipianisten klassische Musikstücke auf, die Aufnahmen kann man über iTunes kaufen und er verdient nach eigener Aussage nicht schlecht daran. So etwas müsste es im „eduTunes“ bzw bei „EduLoad“ dann eben auch geben.
Und: Klar ersetzt das Internet (schon jetzt) teilweise das Buch. Ich habe einige Meter Lexika hier stehen, im Allgemeinen nutze ich aber die Wikipedia, wenn ich kurz etwas nachschlagen muss. Auch wenn ich Infozettel für Stationenlernen vorbereite, ist eine meiner häufigeren Quellen die allwissende Müllhalde. Aber das Netz wird das Buch nicht überflüssig machen, das sehe ich ganz genau so wie Du.
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Weiter derart! Wundervoller Artikel, reichlichen Dank für die praktische Darlegung.