Manchmal ist es ja ein ganz kleiner Tropfen, der das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringt. Und auch wenn ich versuche, hier nicht großartig bildungspolitisch zu werden (da gibt es ganz bestimmt Lehrer und Blogger, die da prädestinierter sind, als ich es bin), so muss ich meine heutigen Gedanken zum Thema „Gesamtsituation der Schule in NRW“ heute mal mit der werten Leserschaft teilen.

Bei mir hat heute folgende (zugegebener Weise recht lapidare und nahezu unbedeutende) Meldung zunächst zu einem erstaunten Aufatmen, dann zu einem nachdenklichen Stirnrunzeln und schließlich zu einem längeren Gespräch mit einem geschätzten Kollegen geführt:

[quote]Mit Erlass vom 13.11.2011 hatte das MSW verfügt, dass die Begrenzung des Unterrichts auf drei Stunden nur noch an
Tagen der allgemeinen Zeugnisausgabe zum Schuljahresende erfolgen darf. [Anmerkung für alle Nicht-Lehrer: Das bedeutet, dass ab dem 13.11. festgelegt wurde, dass am Tag, an dem es Halbjahreszeugnisse gibt, nicht bereits nach der dritten Stunde Schulschluss sein darf, sondern bis zur letzten Stunde Unterricht gemacht werden soll.]

Diese Regelung hatte der VBE mit Schreiben vom 17.11.2011 an die Ministerin als unnötige und wenig hilfreiche Bevormundung der Schulen kritisiert und die Rücknahme dieser Entscheidung gefordert. Das MSW ist den Argumenten des VBE gefolgt und hat den o. g. Erlass zurückgenommen und damit schon für die Ausgabe der Halbjahreszeugnisse im Schuljahr 11/12 die alte Regelung wiederhergestellt. [Das bedeutet, dass es am Zeugnistag nun doch wieder in der dritten Stunde die Zeugnisse und danach einen halben freien Tag geben darf][/quote]

Quelle

Ich meine, dass drei Stunden Unterricht mehr oder weniger unsere Schüler nicht nach vorne bringen. Ich möchte auch lieber gar nicht wissen, wie viele Arbeitsstunden von wie vielen hoch bezahlten Beamten vergeudet benutzt worden sind, um diesen Erlass zunächst zu erlassen und dann das Erlassen des Erlasses wieder zu lassen. Ich möchte aber gerne, dass Schule baldmöglichst wieder in ruhigeres Fahrwasser kommt und man als Lehrer nicht permanent das Gefühl haben muss, Spielball politischer Launen guter Einfälle zu sein.
Alleine in den letzten vier Jahren wurden:
  • die Abschlussprüfungen in der 10 eingeführt
  • die Abschlussprüfungen in der 10 (bei uns am Gymnasium) wieder abgeschafft
  • das Fach Naturwissenschaften am Gymnasium geplant (Bücher wurden gedruckt, Stundenpläne geändert, Stoffverteilungspläne erarbeitet)
  • das Fach Naturwissenschaften am Gymnasium wieder abgeschafft
  • fünf Kopfnoten eingeführt
  • ein halbes Jahr später die Anzahl der Kopfnoten auf drei reduziert
    [Ich denke mit Kopfschütteln an die Elternsprechtage, an denen ich Eltern und Schülern die Sinnhaftigkeit von zunächst fünf und dann später eben nur noch drei Kopfnoten erklärt habe. Die Zeit hätte man sinnvoller verbringen können, wage ich zu behaupten, denn…]
  • kurz darauf die Kopfnoten wieder abgeschafft
  • das „Turboabitur“ nach acht Jahren eingeführt
  • den Schulen im letzten Jahr die Möglichkeit gegeben, nach Abstimmung mit der Schulgemeinde, wieder zu G9 zurück zu kehren, wobei man nicht wirklich zu G9 sondern zu G9+ zurück wollte, was so ähnlich ist wie G9 mit G8 gemischt, vielleicht aber auch anders

Aktuell diskutieren wir das Thema „Inklusion“. Es werden Gelder bereitgestellt, Fortbildungen durchgeführt, Konzepte entwickelt und ich bin mir sicher, ganz bald werden wir die ersten Inklusionsklassen haben. Wenn ich mir die Liste da oben anschaue, kann man sich aber auch fast schon wieder sicher sein, dass in absehbarer Zeit das Konzept „Inklusion“ wieder abgeschafft werden wird.

Wir haben gerade mit viel Mühe die Lehrpläne auf die Anforderungen des Zentralabiturs hin umgestaltet. Das könnte man doch eigentlich auch mal wieder abschaffen. Dann könnte man endlich wieder neue Pläne schreiben und Konzepte entwerfen.

Vielleicht könnte man aber auch endlich mal wieder ein bisschen Ruhe in die Schullandschaft einkehren lassen. Ich würde nämlich am allerliebsten das tun, was ich als meinen Beruf und vielleicht sogar meine Berufung ansehe: Kindern und Jugendlichen den Spaß an und das Interesse für Musik (und, aber bei meiner Stundenverteilung momentan sicherlich eher zweitrangig für Englisch) zu vermitteln. Das mache ich nämlich total gerne. Und ich habe auch richtig Spaß daran, Unterricht(materialien) vorzubereiten. Ehrlich.

Ältere Kollegen wissen teilweise von solchen Zeiten zu berichten. Angeblich hat es das mal gegeben, dass nicht andauernd alles neu erfunden werden musste. Vielleicht ist das aber auch nur eine Legende?!

[Bildquelle]
Mehr Ruhe wäre angebracht…
Markiert in:     

Ein Kommentar zu „Mehr Ruhe wäre angebracht…

  • 16. Januar 2012 um 19:03 Uhr
    Permalink

    Hey Sebastian,

    du hast hier sehr nett und sehr sachlich aufgezählt, was auch mir und sicherlich vielen, vielen anderen Kollegen egal welcher Schulform übel aufstößt. Das ewige hin und her neuerer, tollerer Modellversuche ermüdet und verärgert. Wie blöd kommt man sich vor, wenn man Eltern zunächste das eine und – kurz darauf – das völlig gegenteilige Superkonzept schmackhaft machen muss?
    Die dämliche Kopfnotenrallye kennen wir auch, außerdem noch die flexible, oh nein, jahrgangsübergreifende, ach wieauchimmer Schuleingangsphase, die Inklusion (die uns bereits ohne weitere Vorbereitung) in die Klassen gepflanzt wurde und so vieles mehr.

    Manchmal finde ich es peinlich Lehrer zu sein.

    Weil es zum Thema passt, mein letztjähriger Wunschzettel: http://primimaus.wordpress.com/2011/11/30/mein-wunschzettel/
    Du siehst, alleine stehst du damit wahrlich nicht.
    Allein, was nützt es?

Kommentare sind geschlossen.